Der 50-jährige Hotelier, Förster und Jäger ist seit 24 Jahren Pächter der Jagd im Angertal, zu der die 1100 Hektar der Gadauner Hochalm dazugehören. Gegen alle Widerstände kämpft der als Hirschflüsterer bekannt gewordene Tscherne für den Lebensraum und die Futterstelle seiner 150 Schützlinge – damit die nicht die Rinde von den Bäumen fressen.
Damit sind wir auch schon mittendrin in der Problematik, die Tscherne über die Grenzen hinaus bekannt gemacht hat: seine öffentliche Kritik an den Bundesforsten. Diese, so sagte er wiederholt, seien nur gewinnorientiert. Rotwild sei für sie ein Hindernis, denn der Wald sei als Zuchtstätte für Bäume angelegt. Es gab massiven Druck, die Futterstelle aufzulassen. Doch er ließ sich nicht beirren und kämpfte weiter für den Erhalt dieses tierischen Kulturguts: „Denn es geht ja auch darum, was man hinterlässt.“
Jagablattl-Steiermark-Chefredakteur Harald Bauer hat Thomas Tscherne, Vater zweier erwachsener Kinder, besucht und ihm bei seinem Hobby an diesem fast magischen Ort über die Schulter geschaut. Dabei ist folgendes Interview entstanden:
Harald Bauer:
Hallo Thomas! Vorweg einmal ein Dankeschön, dass du uns hier auf deiner Alm im Angertal empfängst und uns einen Einblick gewährst. Bitte erzähl unseren Lesern zuerst einmal ein wenig von dir und deinen Anfängen!
Thomas Tscherne:
Ich habe schon als Kleinkind eine ganz intensive Affinität zu Wildtieren gehabt. Und zum Wald. Und ich habe meine Eltern in den Wahnsinn getrieben, weil ich immer gesagt habe, ich will Bauer werden. Meine Mutter hat mir dann erklärt, dass ich kein Bauer werden kann, weil wir keinen Hof haben. Und warum willst du überhaupt Bauer werden, hat sie mich gefragt. Weil ich mit den Tieren und der Natur zusammenarbeiten will, habe ich ihr erklärt. Gut, hat sie gemeint, dann musst du Förster werden. Also habe ich mit acht Jahren gesagt: Ich werde Förster. In der Forstschule habe ich aber gemerkt, dass da Ökonomie versus Ökologie gearbeitet wird.
Und das habe ich mir anders vorgestellt. Das hatte irgendwie langfristig für meine Kinder und meine Kindeskinder keinen Sinn. Also habe ich ein Jahr in Amerika pausiert, dann aber doch fertig gemacht, weil ohne Ausbildung wird’s halt schwer. Anschließend ging ich zum Bundesheer und bin wieder nach Amerika. Dort habe ich dann in den USA und in Kanada als Berufspilot gearbeitet. Mitte der 90er bin ich zurück und habe bei den Bundesforsten und dem Landesforstdienst gearbeitet. Die Jagd ist die Verbindung zur Natur für mich gewesen. Und da haben wir dann dieses Jagdrevier gepachtet. Und das Hotel wurde dann als Familienbetrieb zu unserem Lebensmittelpunkt – beruflich gesehen – und natürlich auch unsere Minilandwirtschaft.
Harald Bauer:
Was hat diese Leidenschaft für das Rotwild geweckt?
Thomas Tscherne:
Ich hatte ja schon immer diese tief empfundene Begeisterung für Wildtiere. Im Zuge der Verantwortungsübernahme für das Wild hier im Angertal hat sich das dann auf das Rotwild übertragen. Je mehr man reingeschaut hat, desto interessanter ist es geworden. Und je mehr man gewusst hat, desto mehr hat man gemerkt, dass man nichts weiß. Und dann hat sich so eine Eigendynamik entwickelt.
Harald Bauer:
Wie hast du es geschafft, dass die Wildtiere so zutraulich wurden?
Thomas Tscherne:
Es ist, wie der Jäger sagt: Es ist ein vertrautes Wild, das uns einfach vertraut. Obwohl Zutraulichkeit oder Vertrautheit eigentlich die falschen Worte sind, wir sind für sie berechenbar geworden. Auf das vertrauen sie. Aber unter den Bedingungen, dass, wenn wir uns immer gleich verhalten, ihnen nichts passiert. Wie das Auto auf der Bundesstraße, an dem sich das Wildtier nicht stört.
Harald Bauer: Aber ist das aus jagdlicher Sicht nicht kontraproduktiv?
Thomas Tscherne:
Meinst du die Vertrautheit und die Fütterung? Ich glaube, dass das eine Notwenigkeit ist, auch wenn ich jetzt nicht für eine flächendeckende Rotwildbewirtschaftung europaweit sprechen kann und dass dort die Fütterung notwendig ist, aber bei uns in Gastein am Alpenhauptkamm wird es ohne Fütterung und ohne Duldung der Menschen nicht gehen. Weil wir wollen sie nicht in der Au haben im Winter und nicht am Friedhof, wo sie die Pflanzerln fressen, wir wollen die Hirsche nicht in den Vorgärten haben und wir wollen sie nicht im Wirtschaftswald haben – wenn wir das alles nicht dulden können und die Wirtschaft trotzdem erhalten wollen, kann man es hier heroben bestmöglich machen.
Harald Bauer:
Daraus ergibt sich auch meine nächste Frage. Das Ganze ist ja mit sehr viel Zeit und auch mit sehr viel Geld verbunden … was sagt die Familie dazu?
Thomas Tscherne:
Wenn die Familie nicht voll hinter dem Projekt „Rotwilderhaltung im Alpenraum“ stehen würde, wäre das nie so entstanden und auch gar nicht möglich. Da fokussieren wir schon unseren wirtschaftlichen Schwerpunkt hinein. Wir tragen da alle Kosten selber, die Bundesforste (von ihnen wurde das Revier gepachtet, Anm.) eher im Gegenteil … Sie verkaufen zwar 100 Meter von der Fütterung entfernt den Abschuss von einem 1er-Hirsch, gezahlt haben sie aber keinen Cent zur Fütterung dazu, obwohl sie vom Gesetz dazu verpflichtet wären. Wir kriegen nur Beton und keine finanzielle Unterstützung. Ich muss aber auch sagen, dass es uns das wert ist. Es geht ja darum, was man im Leben hinterlässt, und wenn ich es schaffe, dass ein Kulturgut wie das Rotwild nicht ausstirbt, dann habe ich was Positives erreicht. Dann habe ich meinen Kindern und meiner Kinder Kindern etwas Gutes getan. Und dann ist es auch nicht viel Geld (mehrere 100.000 Euro im Jahr bringt Tscherne dafür auf, Anm. d. Red.). Alles eine Frage der Perspektive.
Harald Bauer:
Wie gehst du mit den Vorwürfen der Bundesforste (die Bundesforste wollten seinem Vorhaben einen Riegel vorschieben. Sie behaupteten, dass er in die Ökologie eingreife und sich die Wildtiere zu stark vermehren würden, er wiederum warf den BF unter anderem reine Gewinnorientierung vor. Viele Rechtsstreitereien waren die Folge, Anm.) gegenüber deinem Handeln um, und wie sehen das die Jäger hier im Angertal?
Thomas Tscherne:
Es gibt immer und überall missgünstige und neidische Leute, man muss sich dabei nur überlegen, was sind die Hintergründe und was ist wirklich sachlich haltbar von dem, was da auf einen zukommt. Der Bürgermeister hat mir gesagt, dass 99 Prozent der Gasteiner hinter dem stehen, was ich da mache. Bis auf ein paar neidische Jäger gibt’s eigentlich keinen, der das versteht, was hier schiefläuft. Und das beantwortet auch die zweite Frage, was hier passiert, polarisiert. Da gibt es sicher ein paar Hardliner unter der Jägerschaft, die glauben, die verlängerte Speerspitze der Bundesforste sein zu müssen, sei es aus wirtschaftlicher Abhängigkeit oder weil sie durch die Bundesforste eine Jagdmöglichkeit haben. Du merkst einfach, die Leute sind radikal in ihren Aussagen. Man merkt aber auch, dass es ein Generationenthema ist. Es ist halt nicht mehr so, wie es vor Hunderten Jahren war. Es hat sich viel verändert. Und betreffend jegliche Vorwürfe der Bundesforste: Ich zerlege sie sachlich und dann bleibt nichts mehr über. Weil, wenn es um die Sache geht, sind sie eh sehr schnell viel kleiner als sonst.
Harald Bauer:
Es waren ja sicher schon unzählig viele Leute bei dir heroben und haben dir Löcher in den Bauch gefragt – nur welche Frage wurde dir noch nie gestellt bzw. welche Frage hättest du dir gewünscht, dass sie dir gestellt wird?
Thomas Tscherne:
Mir fällt jetzt eigentlich nichts ein, was ich nicht gefragt worden bin. Aber was mich immer äußerst überrascht hat, und man muss sagen, dass 90 Prozent der Menschen, die hier heraufkommen, Nicht-Jäger sind, das sind Leute, die sich denken, sie schauen sich das einmal an und kommen da eigentlich ohne großes Hintergrundwissen herauf. Und das sind ganz normale Staatsbürger, von denen versteht es keiner, dass die Fütterung und die Erhaltung des Rotwildes Aufgaben des Jägers sind.
Da geht jeder davon aus, dass das von der Allgemeinheit bezahlt wird. Also wenn du da mit Leuten heraufkommst, die nichts mit der Jagd zu tun haben, dann geht ein jeder davon aus, dass das von Land oder Staat bezahlt wird. Weil jeder sofort erkennt, dass das erhaltenswürdig ist. Das ist was, was für mich den Blickwinkel verändert hat. Weil man einfach merkt, wie man systemtreu aufwächst und gewisse Sachen nie hinterfragt. Und es ist ja auch absolut nicht logisch, dass die Jägerschaft die Verantwortung für die Überwinterung des Wildes generell allein zu stemmen hat.
Das ist ein Kulturgut, eine wild lebende Art, die Bestandteil unserer Landschaft ist, und die Leute sehen das als Kulturgut an. So wie alle in Österreich sich nicht recht Gedanken darüber machen, warum jetzt ganz Österreich dazuzahlen muss, dass das Parlament um eine Milliarde saniert wird. Das ist ein Gebäude, das von Menschenhand errichtet wurde und in die Jahre gekommen ist, jetzt nehmen wir das Geld von acht Millionen Österreichern in die Hand und sanieren es. Da kommt keinem der Gedanke, dass das nur die Wiener im 1. Bezirk was angeht, weil die schließlich dort wohnen.
Oder die Politiker und Parteien, die das Gebäude nutzen. Aber bei den Wildtieren ist das anscheinend so, dass nur eine Gruppe dafür zuständig sein soll. Also, da ist was, was mich nachdenklich macht. Ich glaube, dass da unser System schiefläuft. Ich glaube, dass das nicht richtig ist, ich glaube, dass das Aufwendungen sind, die die Allgemeinheit zu tragen hat.
Es ist ja auch so, dass du als Jäger völlig fremdbestimmt bist. Du kannst den Abschussplan nicht selbst bestimmen, aber du bist für den Wildschaden und die Überwinterungskosten zuständig. Und das passt nicht. Weil, wenn heute eine Amsel über dich drüberfliegt und dabei ihren Kot runterfallen lässt, ist auch nicht der Nachbar schuld, von dem die Amsel gekommen ist, dass deine Scheibe verdreckt ist. Das ist ein wild lebendes Tier und das hat auch keinen Eigentümer. Und es ist Aufgabe der Öffentlichkeit, dass man sie erhält.
Harald Bauer:
Mit welchen Eindrücken fahren diese Nicht-Jäger dann von dir wieder nach Hause zurück?
Thomas Tscherne:
Ich habe wirklich schon alles heroben gehabt. Renitente Tierschützer, Veganer, große Jagdkritiker, die mich schon unten im Tal zur Rede gestellt haben, ob das Füttern überhaupt notwendig ist und warum ich die Tiere überhaupt töten muss, also alle Gegenargumente zur Jagd, die teilweise ganz tief überzeugt ihr Leben gelebt haben mit dieser Einstellung und die mich dann wieder unten umarmt haben und gesagt haben: Jetzt wissen sie, dass die Jagd sehr wohl eine Berechtigung hat. Jetzt ist ihnen klar, dass gejagt und gefüttert werden muss.
Ein Veganer hat wieder zum Fleischessen begonnen, weil er vorher nicht gesehen hat, dass das so ein Kreislauf ist und dass es respektlos wäre, wenn man extra fleischlose Produkte erfinden muss und die Ressourcen, die einen die Natur gibt, verschmäht und nicht nutzt. Ich habe keinen Einzigen unter den Zigtausenden gehabt, die da schon heroben waren, der nach der Fütterung unten angekommen wäre, das negativ gesehen hätte und das so bewertet hätte, dass es nicht unsere Aufgabe wäre, das zu erhalten.
Also, ich glaube, dass das das beste Aufklärungsinstrument schlechthin ist. Es ist für die Leute diese Distanz zwischen den Wildtieren und uns, auch wenn sie herkommen, zu spüren. Und da springt der Funke über, den die Menschen mitnehmen. Das ist etwas, was in uns allen schlummert, was man aber nicht mehr bei so vielen Leuten im täglichen Leben spürt, aber wenn die Leute hier heroben mit den Tieren in Kontakt kommen, dann entspannt das genauso, wie es auch Energie gibt. Und das kommt bei den Leuten einfach generell gut an, indem sie anerkennen, dass eine Notwendigkeit dazu besteht. Wichtig ist, dass man mit einem kritischen Hausverstand jede Veränderung, was die Bewirtschaftung und den Lebensraum der Wildtiere betrifft, hinterfragt.
Das heißt nicht, von Haus aus überall dagegen zu sein, aber einfach sich kritisch jede Veränderung anzuschauen, bevor man nickend zustimmt und sie einfach zulässt. Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf. Für viele Wildbestände ist es schon Viertel nach zwölf, denn die gibt’s bald gar nicht mehr.
Das Team vom Jagablattl Steiermark möchte sich bei Thomas Tscherne für die Gastfreundschaft und das Interview bedanken!